Forum Sanitas 4/2012 - page 3

hier eine verlässliche Aussage treffen zu
können, müssten mindestens ein oder
zwei weitere bekannte biologische Ge-
schwister mit in das Gutachten einbezo-
gen werden.
Handelt es sich bei den beiden mög-
lichen Geschwistern um zwei Frauen, so
hilft hier die Untersuchung der X-chro-
mosomalen STR-Merkmale weiter. Der
Mensch besitzt zwei Chromosomen, die
für seine Geschlechtsausprägung verant-
wortlich sind: Das X- und das Y-Chromo-
som. Die Namen sind von der Form der
Chromosomen abgeleitet wie sie sich im
Karyogramm darstellen (als Karyogramm
bezeichnet man eine sortierte Darstel-
lung der Chromosomen eines Metapha-
sepräparats). Das Y-Chromosom hat sich
aus dem X-Chromosom entwickelt. Das
Y-Chromosom und das X-Chromosom äh-
neln sich in den Endbereichen, sind aber
in den Mittelbereichen unterschiedlich.
Auf diesen Geschlechtschromosomen lie-
gen auch Abschnitte, die STR’s enthalten.
Welche Vorteile bieten die Informati­
onen über die STR-Konstellation auf
den Geschlechtschromosomen?
Betrachten wir zunächst das X-Chro-
mosom: Jeder Mensch besitzt 23 von der
Mutter ererbte Chromosomen und 23
vom Vater ererbte Chromosomen. Glei-
che Chromosomen, wie z. B. die beiden
Einser-Chromosomen, können Teile mit-
einander austauschen (homologe Re-
kombination). Hierbei entstehen neue
Kombinationen aus dem jeweiligen müt-
terlichen und dem väterlichen Chromo-
som. Dieser Vorgang ist eine der Trieb-
federn der Evolution, da durch die Neu-
kombination von DNA auf den Chrom-
somen Eigenschaften des Individuums
verbessert werden können und somit
Vorteile im täglichen Überlebenskampf
entstehen, z. B. ob Laktose (Milchzu-
cker) als Energielieferant dienen kann,
oder ob eine Laktoseintoleranz vorliegt.
Was bedeutet dies für die Abstam­
mungsbegutachtung und hier im
Speziellen für die STR-Analyse von
Geschlechtschromosomen?
Bei Frauen hat dies keinen Einfluss, da
die beiden X-Chromosomen rekombinie-
ren können. Ein Mann hingegen hat nur
ein X-Chromosom und dieses hat dem-
zufolge keinen Partner zum Rekombinie-
ren. Es ist also im Mann gewissermaßen
„konserviert“.
Eine Großmutter väterlicherseits und
ihre Enkelin haben immer ein X-Chromo-
som gemeinsam, da es beim Vater des
Kindes (und somit dem Sohn der Groß-
mutter) mangels Rekombinationsmög-
lichkeit konserviert war. Gleiches gilt
auch für einen Geschwistertest, an dem
zwei Frauen beteiligt sind. Beide Frauen
müssen immer zumindest ein gemein-
sames STR-Merkmal pro X-chromoso-
malem System haben, welches dann
vom gemeinsamen Vater stammt.
Die Untersuchung X-chromosomaler
STR-Systeme erhöht demnach die Aussa-
gekraft eines Geschwistertests in dieser
Konstellation erheblich.
Das Y-Chromosom ist noch etwas spe-
zieller, es kommt nur bei Männern vor,
wird nur auf Söhne vererbt.Im männ-
lichen Genom gibt es nur ein Y-Chromo-
som und dieses kann nicht maßgeblich
rekombinieren (in Bereichen, die mit
dem X-Chromosom homolog sind, kann
eingeschränkt Rekombination erfolgen).
Es ist also bis auf seltene mögliche Mu-
tationen konserviert und wird deshalb
nahezu unverändert in männlicher Linie
weitervererbt. Das heißt: alle leiblichen
Brüder haben das gleiche Y-Chromosom
wie Ihr Vater. Die Brüder geben das kon-
servierte Y-Chromosom des Großvaters
an Ihre Söhne weiter. Demnach haben
auch alle Cousins das gleiche Y-Chromo-
som wie der Großvater.
Bei zwei fraglichen (Halb-)Brüdern vä-
terlicherseits ist die Analyse von Y-cho-
mosomalen STR-Systemen sehr hilfreich.
Ist ihr Y-chromosomales STR-Profil un-
terschiedlich, so haben die beiden Män-
ner nicht denselben biologischen Vater.
Ist das Profil gleich, so stammen sie mit
großer Wahrscheinlichkeit aus derselben
männlichen Linie. Unter der Vorausset-
zung, dass keine andere Person aus der
männlichen Linie (z. B. ein Onkel aus der
väterlichen Linie) als Vater in Betracht
kommt, ist die (Halb-)Bruderschaft prak-
tisch erwiesen.
Aufgrund des hohen Konservierungs-
grades des Y-Chromosoms lässt sich die
männliche Linie auch über viele Genera-
tionen zurückverfolgen. Ein modernes Y-
chromosomales STR-Set wie es z. B. von
der Firma AB angeboten wird, beinhal-
tet neben 21 Y-chromosomalen STR-Sys-
temen mit niedriger Mutationsrate auch
zwei Systeme mit erhöhter Mutationsra-
te. Die Systeme mit höherer Mutations-
rate ändern sich innerhalb weniger Ge-
nerationswechsel häufiger als die kon­
stanteren STR-Systeme mit niedriger Mu-
tationsrate. Möchten Männer wissen, ob
Sie in männlicher Linie verwandt sind, so
sind verschiedene Ergebniskonstellati-
onen nach Untersuchung der Y-chromo-
somalen STR-Systeme mit diesen Sets
möglich. Stimmen mehrere STR-Marker
mit hoher und niedriger Mutationsrate
nicht überein, so sind die Männer nicht
in männlicher Linie verwandt. Stimmen
alle Systeme mit niedriger Mutationsra-
te und hoher Mutationsrate überein, so
sind die Männer in männlicher Linie ver-
wandt und der gemeinsame Vorfahre
liegt nicht allzu viele Generation zurück,
es kann z. B ein gemeinsamer Vater,
Großvater oder Onkel sein.
Stimmen die STR-Systeme mit den
niedrigen Mutationsraten überein und es
weichen die STR-Systeme mit den hohen
Mutationsraten voneinander ab, so liegt
hier zwar eine gemeinsame männliche
Line vor, der gemeinsame Urahn liegt
aber schon einige Generationen zurück.
Mit dieser Methode können natürlich
auch Proben von verstorbenen Personen
untersucht werden soweit aus ihrem bi-
ologischen Material vermehrungsfähige
DNA isoliert werden kann. Diesfunktio-
niert beispielsweise relativ gut bei den
ägyptischen Mumien. Bei Übereinstim-
mungen der y-chromosomalen STR-Sys-
teme kann dann eine Abstammungsthe-
orie in den Grenzen des Systems bestä-
tigt werden. Probleme in der Interpreta-
tion der Daten entstehen allerdings im-
mer dann, wenn Inzuchtkonstellationen
vorliegen.
Die möglichen Fragestellungen bei Ab-
stammungsgutachten sind vielfältig. Als
Faustregel gilt: je weiter auseinander der
mögliche Verwandtschaftsgrad der zu
untersuchenden Personen ist (1., 2., 3.
Grad etc.), desto mehr Personen mit be-
kannten biologischen Verwandtschafts-
verhältnissen müssen für eine verläss-
liche Aussage in das Gutachten mitein-
bezogen werden.
Mit den heute gängigen Methoden ist
ein mögliches Nichte (Neffe) zu Onkel
(Tante)-Verwandtschaftsverhältnis sinn-
voll zu analysieren. Mit den nächsten
Testgenerationen wird dann auch ein
Cousin(e)–Cousin(e)-Verwandtschafts-
verhältnis nachweisbar werden, ohne
dass weitere Familienmitglieder unter-
sucht werden müssen.
Informationen
Papacheck GmbH
Dr. rer. nat. Armin Pahl
Spandauer Str. 24–26
21502 Geesthacht
Tel. 04152.835090
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Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin • 4. Ausgabe 2012
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