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Abstammungsgutachten
Die Fortschritte der letzten 50 Jahre in Medizin und Biologie sind auch an der
Abstammungsbegutachtung nicht spurlos vorübergegangen. Waren damals
nur bei bestimmten Konstellationen sichere Aussagen zur Vaterschaft mög­
lich, so sind heutzutage bei Gutachten zur Vaterschaft eines Mannes zu einem
Kind sehr exakte Aussagen möglich. Mit den modernen Untersuchungs­
methoden können Aussagen zu weiteren Verwandtschaftsverhältnissen und
zu Ahnenlinien getroffen werden.
W
orauf beruhen die ­modernen
molekularbiologischen
­Methoden?
Die heutigen Untersuchungsmetho-
den beruhen allesamt auf der Analyse
der DNA. Die DNA, also das Erbgut von
Lebewesen, wurde unter anderem des-
halb so intensiv erforscht, weil die DNA
und alle Vorgänge, die mit ihr in Zusam-
menhang stehen, der Schlüssel zum Ver-
ständnis der Krebsentstehung (Tumorge-
nese) sind. Je größer also das Wissen auf
diesem Gebiet wird, umso besser sind
die Möglichkeiten, eine wirksame The-
rapie gegen Krebs mit möglichst we-
nig Nebenwirkungen zu entwickeln. Die
DNA codiert vereinfacht gesprochen mit
vier verschiedenen Basen (abgekürzt
mit den Buchstaben A, C, G und T) für ca.
20 verschiedene Aminosäuren, die Bau-
steine der Eiweiße. Durch Kombination
der 20 verschiedenen Eiweißbausteine
können in der Zelle Eiweiße für die ver-
schiedensten biologischen Zwecke her-
gestellt werden, wie z. B. für Haare oder
Hormone. In der DNA sind also die Bau-
pläne für die Eiweiße durch die Definiti-
on der Abfolge der Aminosäuren nieder-
gelegt. Neben den Bauplänen sind auch
noch chemische Schalter vorhanden,
über die geregelt wird, welches Eiweiß
zu welcher Zeit und in welcher Menge
von der Zelle produziert wird. Die Kom-
bination eines bestimmten Schalters mit
einem Eiweißbauplan nennt man Gen.
Der Inhalt der DNA – und somit die Ge-
ne – bestimmen also die Funktion un-
serer Zellen sowie auch unser Aussehen.
Die gesamte DNA ist beim Menschen auf
46 verschiedene Chromosomen (jeweils
23 von der Mutter und 23 vom Vater er-
erbt) verteilt, wobei 2 Chromosomen
(XX bei Frauen und XY bei Männern) für
die Geschlechtsausprägung verantwort-
lich sind. Das menschliche Genom (die
Gesamtheit der Informationen einer Zel-
le) besteht aus ca. 2 x 3,1 x 109 Bau-
steinen (Basen) mit ca. 22.500 Genen.
Die Gene machen aber nur ca. 20 % der
gesamten DNA des Menschen aus. Der
Rest der DNA besteht aus sogenannter
„junk-DNA“, wobei das Wort „junk“ nicht
wörtlich zu nehmen ist. Die Funktion der
„junk-DNA“ wird erst jetzt langsam ver-
standen.
Welche Gemeinsamkeiten bei ver­
wandten Personen und welche Un­
terschiede bei nicht verwandten Per­
sonen gibt es in der DNA?
Vergleicht man das Genom einer Hefe-
zelle mit dem Genom eines Menschen,
so stimmt es zu ca. 60 % überein; ver-
gleicht man das menschliche Genom
mit dem eines Schimpansen, so liegt die
Übereinstimmung bei 98,8 % (zum Goril-
la 98,4 % und zum Orang-Utan 96,9 %).
Wenn der Unterschied zum Menschenaf-
fengenom schon so gering ist, wie kann
man dann die Menschen untereinander
anhand der DNA unterscheiden?
Für uns Menschen ist es ohne wei-
teres möglich, die verschiedenen Indivi-
duen (mit Ausnahme von eineiigen Zwil-
lingen, die ja genetisch identisch sind)
zu unterscheiden. Dies ist eine wichtige
Fähigkeit für das Leben in einer Gruppe
mit ausgeprägter Sozialstruktur. Die Un-
terschiede z. B. in Haarfarbe, Größe, Sta-
tur, Augenfarbe usw. liegen in den Ge-
nen, sind aber weit auf dem Genom ver-
teilt. Diese Analyse ist sehr aufwendig
und somit teuer.
Welche Teile der DNA sind besser
­geeignet als Gene?
Hier kommt ein Teil der „junk-DNA“
ins Spiel. Der Bereich „junk-DNA“ ist so-
wohl für die Unterscheidung von Indivi-
duen (Forensik), als auch für die Abstam-
mungsanalyse geeignet. Hier können
sich Unterschiede in der DNA, die sich
durch Mutationen ergeben (Mutationen
sind Veränderungen der Buchstaben-/
Basenabfolge in der DNA, wie sie z. B.
durch UV-Licht, chemische Stoffe oder
aber auch „Schreibfehler“ bei der DNA-
Verdoppelung für die Zellteilung entste-
Dr. rer. nat. A. PAHL
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Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin • 4. Ausgabe 2012
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